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Diesen Krieg kann keiner gewinnen

Chronik eines angekündigten Friedens

Erschienen am 25.08.2003
Auch erhältlich als:
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783446203747
Sprache: Deutsch
Umfang: 200 S.
Format (T/L/B): 2 x 21.9 x 15 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

David Grossman hat den israelisch-palästinensischen Konflikt seit Jahren mit kritischen Kommentaren begleitet. Seine persönliche Chronik der politischen Ereignisse seit dem Osloer Abkommen gibt einen Überblick über die Situation, zeigt die Argumente der Palästinenser und Israelis und liefert zugleich einen Einblick in das alltägliche Leben der Menschen unter dem Einfluss des Terrors.

Autorenportrait

David Grossman wurde 1954 in Jerusalem geboren und gehört zu den bedeutendsten Schriftstellern der israelischen Gegenwartsliteratur. 2008 erhielt er den Geschwister-Scholl-Preis, 2010 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, 2017 den internationalen Man-Booker-Preis für seinen Roman Kommt ein Pferd in die Bar. 2021 wurde ihm das Verdienstkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Bei Hanser erschienen zuletzt Diesen Krieg kann keiner gewinnen (2003), Das Gedächtnis der Haut (2004), Die Kraft zur Korrektur (2008), Eine Frau flieht vor einer Nachricht (Roman, 2009), Die Umarmung (2012), Aus der Zeit fallen (2013), Kommt ein Pferd in die Bar (Roman, 2016), Die Sonnenprinzessin (2016), Eine Taube erschießen (Reden und Essays, 2018) und Was Nina wusste (2020). Im Hanser Kinder- und Jugendbuch erschien zuletzt 2018 das Kinderbuch Giraffe und dann ab ins Bett!, 2023 folgt das Bilderbuch Opa, warum hast du Falten?.

Leseprobe

Lärm. Lärm ist das erste Wort, das mir einfällt, wenn ich an die letzten zehn Jahre denke. Fürchterlicher Lärm. Schüsse und Schreie, Hetzreden, Jammern und Klagen, Explosionen und Demonstrationen, große leere Worte, Sondersendungen vom Ort des Anschlags, Rufe nach Rache, dröhnende Hubschrauber am Himmel, die heulenden Sirenen der Ambulanzen und das frenetische Klingeln der Telefone nach jedem Zwischenfall. Im Zentrum des Wirbelsturms, im Auge des Hurrikans, herrscht Stille. Man kann sie körperlich empfinden. Eine Stille wie in dem kurzen Augenblick zwischen schlechter Nachricht und Begreifen, zwischen Schlag und Schmerz. Es ist die Leere, in der jeder Mensch, ob Israeli oder Palästinenser, mit unerschütterlicher Sicherheit alles weiß, was er nicht wissen will oder nicht zu wissen wagt. In der er tief in seinem Innern begreift - selbst wenn er dies vehement bestreitet, wenn er schießt und schreit -, daß er sein Leben verschwendet, daß es in einem sinnlosen Kampf verrinnt. Daß ihm in einem Konflikt, der längst gelöst sein könnte, permanent seine Identität, seine Selbstachtung und Einzigartigkeit geraubt werden. Das einzugestehen ist zu schmerzlich. Dieser Gedanke ist unerträglich. Und so erklärt sich das ständige überwältigende Bedürfnis, dieser Stille zu entfliehen, zu dem vertrauten Lärm zurückzukehren, an den wir uns - niemand vermag zu sagen, wie und wann - irgendwie gewöhnt haben. Wir kommen damit sogar ganz gut zurecht. Sie (das heißt »die Feinde«) werden uns nicht in die Knie zwingen. Wir haben das Recht auf unserer Seite. Wir haben keine Wahl. Wir werden »uns von unseren Schwertern nähren, und das Schwert wird ohne Ende fressen«. Aber dort, an jenem stillen Ort, ist der Lärm von draußen verstummt. Dort, von allen schützenden nationalen, religiösen und sozialen Hüllen entblößt, ist der Mensch allein, sitzt mit angezogenen Beinen da, wie jemand, der etwas Grauenvolles getan hat und sich dem Verbrechen stellt, das er an anderen und an sich selbst begangen hat und weiterhin begeht. Wenige von uns, Israelis wie Palästinenser, können stolz auf das sein, was sie in den vergangenen Jahren getan haben, womit sie, aktiv oder passiv, kollaborierten, indem sie wegsahen, Bedenken beiseite schoben oder sich selbst betäubten. Dieses Buch enthält einige Dutzend Artikel, die auf besonders turbulente Augenblicke in den Jahren nach der Unterzeichnung des Osloer Abkommens 1993 reagieren. Ich bin kein Journalist. Ich würde mich lieber in meinem Haus einschließen und nur noch Romane schreiben. Doch die Wirklichkeit, in der ich lebe, übersteigt jede Phantasie und sickert tief in mich ein. Und manchmal ist das Verfassen eines Artikels für mich der einzige Weg, zu verstehen, zu entziffern und diesen Alltag zu überleben. Auch wegen des Lärms schreibe ich Artikel, denn häufig fühle ich mich dem Ersticken nahe und reagiere klaustrophobisch auf die betrügerischen, verlogenen Worte, die alle interessierten Parteien - Regierung, Armee, Medien - uns, ihren Untertanen in diesem Katastrophengebiet, ununterbrochen einzuhämmern versuchen. Mitunter kann die neue Darlegung einer Lage, die schon als hoffnungslos verloren und versteinert galt, uns in Erinnerung rufen, daß uns im Grunde kein Gottesurteil zu hilflosen Opfern von Apathie und Lähmung verdammt. Ich muß gestehen, daß mich häufig das Gefühl überkommt, Worte könnten die Wand des Horrors nicht mehr durchdringen. Es ist schwer, jemanden mit Worten zu erreichen, wenn um einen herum Menschen in die Luft gesprengt und Kinder in Fetzen gerissen werden. In solchen Momenten wü Leseprobe

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